Tränen

Tränen sollen angeblich reinigen. Keine Ahnung, wie oft ich diesen Satz schon gehört oder auch schon selbst gesagt habe. Das ist leicht dahin gesagt. Bei genauem Nachdenken macht es vielleicht auch Sinn. Aber was genau soll denn reinigen? Und was, wenn es nicht mehr aufhört? 

Was ist, wenn es sich nicht reinigend anfühlt?
Sondern eher im Gegenteil, nämlich erdrückend? 

Vielleicht gehts gar nicht um das, was rauskommt, sondern um das was drin ist. Und das ist wenig befreiend. Genau genommen kommt da eben nur Flüssigkeit raus und nie befreiende Gedanken. Oder Entscheidungen, die das innere Chaos ordnen. 

Tränen haben mich noch nie ins Gleichgewicht gebracht. Weil sie immer aus Traurigkeit – oder schlimmer noch: aus Verzweiflung entstanden sind. Weil sie plötzlich kommen; ausgelöst durch irgendwas, was ich noch nicht mal benennen kann. Und dann sind die Kanäle offen und lassen sich nur mit Mühe wieder schließen. 

Fühle ich mich danach befreit? Ganz klar: nein. Ich fühle mich ausgelaugt, schwach und müde.

Fühle ich mich geordnet? Ganz klar: nein. Ich fühle mich eher verwirrt, weil es mich wieder kalt erwischt hat und ich nicht weiß, woher es kam. 

Fühle ich mich gereinigt? Ganz klar: nein.

Denn die Verzweiflung ist noch da. Sie hat mit den Tränen nur ihren Weg nach draußen gefunden, um sich mal zu zeigen. Um mir zu sagen, dass sie noch da ist und sie sich im Alltag vielleicht manchmal ein bisschen verstecken lässt. Aber sie macht klar, dass sie immer da ist. Und das sie stärker ist, als ich es ihr zugestehen möchte. Wenn sie es leid ist, drückt sie den Knopf, der mich dann erst einmal zerlegt. Und sie drückt ihn so lange, bis aus den stillen Tränen ein Schluchzen geworden ist und das Atmen schwerfällt. 

Wenn man nicht atmen kann, dann hat das nichts mit Befreiung zu tun. Wer sich befreit fühlt, der atmet tief ein und aus und schnappt nicht nach Luft. Befreiung ist Entspannung und Ruhe. Verzweiflung ist wirr und schmerzhaft.

Tränen, die aus Verzweiflung entstehen sind schmerzhaft. Sie brennen sich auf dem Weg durchs Gesicht ein und tropfen gefühlt wieder in Herz und Seele, wo sie sich für den nächsten Ausbruch sammeln.
Tränen, die aus Verzweiflung entstehen sind meist recycelt aus den Tränen, die man schon einmal aus Angst, Traurigkeit, Verletzungen, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung vergossen hat.

Es ist hier also mehr ein Kreislauf der Traurigkeit, als der Reinigung. 

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