Tschö 2022 – Same same, but different

Traditionen sind wichtig, weil sie erinnern und festhalten. Dieser Jahresrückblick ist meine Tradition und auch eine Reflexion von dem, was war und Grundlage für das, was kommt. Und das wird ziemlich aufregend.

Aus dem letztjährigem „Uff“ ist ein „Puh“ geworden, welches in alle Richtungen gelebt und gedeutet wurde. Neben dem „Puh“ ist der Spruch „one thing at a time“ zu einer Art Lebensmotto geworden – unabhängig von der Geschwindigkeit, mit der man „at a time“ messen möchte. 

Die guten Nachrichten zuerst: ich habe das Jahr ohne einen Tumor überstanden. Ja, das klingt irgendwie seltsam, aber positiv. Vielleicht aber auch nur in meinen Ohren. Nach zwei Krebserkrankungen sind ambivalente Formulierungen zu einer Art Realität geworden. Und das ist gar nicht so schlimm, wie es klingt. Ich gehe da einfach durch. Mit allem, was das mit sich bringt. Allen Gefühlen und Ängsten. Denn der einzige Weg für mich ist immer der mitten durch. Ich werde niemals aufhören zu sagen, wie wichtig es ist, sich seinen Dämonen und Ängsten zu stellen und sie in die Realität zu holen. Dann sind sie zwar vielleicht immer noch da, aber eben bei Tageslicht und nicht in der diffusen Dunkelheit. Und bei Tageslicht ist manches ja manchmal ein bisschen weniger angsteinflößend.

Zwei Krebserkrankungen zu überleben ist alles andere als normal. Die Veränderungen, die damit einhergehen sind nichts weniger als sehr tiefe Einschläge auf der Seele, in zwischenmenschlichen Beziehungen und bei den täglichen Gewohnheiten. Let’s face it: nichts ist mehr wie es war. Ich selbst erst recht nicht. Angst, Schmerzen und eine manchmal überhöhte Wachsamkeit in Bezug auf den eigenen Körper bringt die ein oder andere Veränderung mit sich. Aber eben nicht nur schlechte. Wachsamkeit ist mehr als okay, denn mein Körper hat schon zweimal versucht, mich umzubringen. Klingt dramatisch, ist aber eben die Realität. Diese Wachsamkeit bringt leider auch eine Menge Anspannung mit sich und… na ja, ich lerne noch, damit umzugehen. One thing at a time, nä?

Ein weiterer Meilenstein ist, dass ich in diesem Jahr meine Therapie abgeschlossen habe. Und eins kann ich versichern: zu merken, dass ich meinem Therapeuten eigentlich nicht mehr viel erzählen kann und will, hat eine sehr tiefe Ruhe im Innersten ausgelöst. Ich bin ihm dankbar für jeden Aha-Moment, für jeden Denkanstoss, für jede kleine Hilfestellung im Umgang mit meiner Angststörung. Nun wieder allein loszulaufen macht mich unfassbar stolz. 

Noch nie in meinem Leben habe ich mich selbst so klar gesehen.
Noch nie war ich so selbstbestimmt und handlungsfähig.
Und so sehr bei mir.

Die letzten Jahre haben mir deutlich gezeigt, was ich nicht will und was ich viel zu lange immer wieder toleriert habe, weil ich es aus einer alten Prägung heraus akzeptiert habe. Nun weiß ich es besser. 

Heute weiß ich, wie sehr ich unter meinen eigenen Möglichkeiten geblieben bin.
Und wie viel ich verpasst habe, weil ich es nicht fühlen konnte. 

Durch all das, was ich nicht will wurde ein ganzes Universum an Erkenntnissen sichtbar, die mir geholfen haben, das zu sehen, was ich will. Und es vor allem zu fühlen. Dieses neue Gefühl für mich ist eine warme Quelle in meinem Inneren, die es schafft, dass die Kälte weniger wird. Meine Muskeln können sich endlich entspannen und ich ruhiger atmen. Ganz langsam setzt sich eine neue Kraft frei, die alte Selbstzweifel und -abwertungen mehr und mehr verstummen lässt. Ich kann meine eigene Stärke spüren und ich bin beeindruckt, wie viel davon da ist. 

In meinem Jahresrückblick 2021 habe ich geschrieben, dass ich spüren kann, dass das neue Jahr gut werden wird. Dass es ein Neustart in eine zweite, gute Lebenshälfte sein wird. Und ich habe recht behalten. Obwohl es Phasen gab, in denen die Traurigkeit zugeschlagen hat. Oder Zeiten, in denen meine Angst stärker war. Das wird immer wieder passieren und das ist okay. Denn sie geht vorbei. Ich habe mein Rüstzeug beisammen, um das zu überstehen. Ich weiß, dass ich immer wieder auftauchen kann und werde. 

Das alles kann ich, weil ich so viel bedingungslose Unterstützung und Liebe um mich herum habe. In diesem Jahr haben sich Beziehungen verändert. Manche sind vergangen, manche so viel intensiver als vorher. Ich habe gelernt, dass wahre Liebe nicht nur in Liebesbeziehungen stattfindet. Sondern immer dann, wenn man sich für einen Menschen entscheidet. Voll und ganz. Genau dann entwickelt eine Freundschaft eine Magie, die total selbstverständlich und erfüllend ist. Und das Herz wärmt. Mein Herz ist ganz warm und voller Liebe. 

2023 wird gewaltige Veränderungen mit sich bringen. Ich werde einen beruflichen Neustart auf einem komplett unbekannten Terrain wagen. Dafür bin ich so weit aus meiner Komfortzone herausgelaufen, dass ich immer mal wieder innehalten und mich kneifen muss. Und vor allem durchatmen. Weil es auch ein bisschen Angst macht. Und trotzdem freue ich mich darauf. Sehr sogar. Ich habe große Lust, etwas Neues zu lernen und auch in anderen Bereichen zu wachsen. Das wäre vor zwei Jahren noch nicht mal im Ansatz möglich gewesen. Aber es fühlt sich gut und richtig an zu springen. Und Alter, was bin ich gesprungen! 

Meine zweite Lebenshälfte hat definitiv begonnen. Und ich bin gespannt darauf, wo sie mich hinbringen wird. Ohne die Dunkelheit und alten Verletzungen. Mit meinem echten Ich, meiner inneren Einstellung und all dem, was ich jetzt weiß und fühle. Mit allem, was ich will und was ich nicht will. Was mir wichtig ist und was nicht. Mit viel Musik. Ganz lauter Musik. Wilden Partys, langen Gesprächen, viel Lachen, manchen Tränen und vor allem mit so viel Liebe. 

Punk und Liebe. 

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