Verlust

Wenn das Leben von Traurigkeit, Verzweiflung, Einsamkeit, also generell gefühlt nur noch von negativen Gefühlen beherrscht wird, dann ist ist der Verlust ganz sicher auch immer mit von der Partie. Er ist das Fundament für alles, was die Talfahrt einleitet. Der Verlust macht alles unerträglich, denn er ist meist endgültig. Er passiert und löst eine Welle von Reaktionen auf, die niemals in den Hochfrequenzbereich von Freude gehen.

Ich sollte meinen, dass ich mit dem Verlust irgendwann umgehen kann, weil er mir im Leben immer wieder begegnet. Das Gegenteil ist der Fall. Es wird von mal zu mal schwieriger, weil immer wieder alte Wunden aufgerissen werden. Ein Leben in der Konstante ist für den einen vielleicht langweilig, für mich aber ein erstrebenswerter Zustand. Denn immer mit Vollspeed auf der Achterbahn unterwegs zu sein, verursacht irgendwann Übelkeit, weil sich nichts mehr da befindet, wo es sein sollte und weil ich nichts mehr wiederfinden kann.

Der Verlust hat viele Gesichter. Er kann sich in Dingen, Menschen und Gefühlen zeigen. Blicke ich in den Spiegel, hat er immer nur ein Gesicht: meins. Das ist, was am Ende übrig bleibt. Alles ist weg, aber ich selbst bleibe. 

Dann beginnt die Arbeit. Die hinterlassene Lücke muss irgendwie gefüllt werden. Dazu muss ich erstmal verstehen, was und warum da plötzlich was weg ist. Eine Erklärung wird ja nicht immer automatisch mitgeliefert. Beengt im eigenen Kopf beginnt das Zermartern. Gedanken fliegen durch die Gegend, stoßen an den Enden an und alles geht wieder von vorne los. Bis ich vielleicht irgendwann in einem hellen Moment eine Eingebung bekomme und mir selbst eine Erklärung liefern kann, die einen Hauch von Ruhe bringt. Bis diese Ruhe dann im Herzen angekommen ist, dauert es aber noch einmal mindestens genauso lange. Es ist erstaunlich, wie lange der Transfer von Kopf zu Herz ist. Und wie lange das Herz beim Pumpen schmerzen kann, so dass ich das Gefühl habe, es handelt sich um eine ernsthafte Herzrhythmusstörung. 

Dabei geht es irgendwann nicht mehr um das, was vorher war, bevor der Verlust ins Leben gekommen ist. Es geht um das, was hätte sein können. Egal, ob es realistisch eingetreten wäre oder nicht. 

Der Verlust ist eine Lücke. Wer mag schon Lücken? Die wenigsten Lücken werden ordentlich geschlossen. Meist wird irgendetwas hineingestopft, damit eben keine Lücke da ist. Da ist erstmal egal, ob es dahin gehört oder nicht. 

Verlust ist Wegnehmen. Egal, ob durch jemanden anders oder sich selbst. Sich selbst etwas wegzunehmen ist vielleicht die Konsequenz auf Wegnehmen von außen.

Handelt es sich um Gefühle, dann wird die Angst vor einer neuen Investition immer größer. Das nimmt die Unbeschwertheit, die gute Gefühle mit sich bringen sollen. Das Herz zu verschließen, weil es nicht mehr so richtig heile ist, fühlt sich vernünftig an. Mit offenen Wunden treibt man keinen Sport. Und manche Wunden heilen nie so richtig.

Herz und Seele sind irgendwann zu kaputt. Mein Herz und meine Seele sind zu kaputt. Sie vertragen keine weiteren Wunden mehr. Zu viel ist zerbrochen, zu viele Scherben liegen herum und verursachen neue Verletzungen.
Wenn man sich dabei irgendwann in sich selbst verirrt hat, dann tritt man mit großer Wahrscheinlichkeit ständig in eine Scherbe, weil man nicht mehr weiß, wo genau sie alle liegen. 

Also muss ich irgendwann wieder ganz von vorne anfangen. Bei mir selbst. Bei dem, was mich ausmacht. Im Guten und vor allem im Schlechten. 

Dann kann ich nur hoffen, dass aus der ein oder anderen offenen Wunde eine Narbe wird, die vielleicht immer mal wieder zwickt, wenn es regnet. Die aber nicht mehr blutet. Oder zumindest nicht mehr so stark blutet. 

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