Du warst da

Meine Augen blicken aus dem Fenster,
weit weit weg über das Land.
Ich warte halbe Ewigkeiten
und ich verliere den Verstand.*

Kennengelernt haben wir uns durch diese verdammte Krankheit: den Krebs. Du hattest schon unfassbare drei Runden hinter Dir, ich war in meiner ersten. Als Vollprofi hast Du mich an die Hand genommen, mir Dinge erklärt, wertvolle Tipps gegeben und so manches Mal meine Angst aufgefangen. Nur eben nicht nur. Der Krebs war da, er saß mit uns am Tisch, aber gelacht und geweint haben wir über andere Dinge. Weil wir in so vielen Dingen so ähnlich getickt haben. Besonders was Musik angeht. Ich glaube heute, dass genau das unsere kurze Verbindung so tief gemacht hat. Manchmal trifft man auf Menschen und sie haben direkt einen Platz im Herzen, fast wie ein Puzzleteil, das genau dort hingehört. Du bist da. 

Als dieser Tumor in Deinem Gehirn aufgetaucht ist, da hat sich der Krebs an unserem Tisch wieder etwas breiter gemacht. Du wolltest nie darüber sprechen und ich konnte Dich da gut lassen, weil ich wußte, Du würdest schon reden, wenn Dir danach ist. Wir hatten unsere Musik, unsere Witze und unsere kleinen Erlebnisse des Tages. Das hat uns beiden mehr als gereicht, weil es uns auf so besondere Weise jeden Tag bereichert hat. Unsere Gespräche waren wie heimkommen. Auf dem Herd stand immer eine Suppe und unter der Decke war genug Platz für uns und unsere Gedanken. 

Unsere Pläne, unsere Ziele,
all die Gespräche nächtelang*

Eines Tages hast Du mir aus heiterem Himmel erzählt, dass Du eine Playlist für Deine Beerdigung zusammengestellt hast. Ich weiß noch, wie sich mein Magen zusammengezogen hat. Weil ich wußte, dass Du das nicht einfach mal so machst. Und dass Du erst recht nichts dazu sagen wirst. Also habe ich nur kurz nachgefragt, ob ich mich auf etwas einrichten müsste. Du hast abgewunken und gesagt, dass da was auf dem MRT war, was aber nichts heißen müsste. Wir wußten es beide. Wir haben uns auf Deine Playlist konzentriert, bis Du mir sagtest, dass Du nicht willst, dass ich um Dich weine. Ich habe Dir gesagt, dass Du mich mal kreuzweise kannst, ich weine, um jeden, um den ich weinen will. Du bist hartnäckig geblieben, genauso wie ich. Da haben wir uns nichts genommen und nichts geschenkt. Nach harten Diskussionen haben wir uns auf vier Tränen geeinigt. Du wollest drei, aber ich sah mein inneres Gleichgewicht gefährdet, weil das nicht durch zwei teilbar war. Ja, manchmal bin ich seltsam, aber wir haben es beide gemocht. 

In den Tagen und Wochen danach ging alles sehr schnell. Du wolltest mich noch im Krankenhaus besuchen kommen, weil meine Lunge plötzlich nicht mehr mitspielen wollte. Doch eine Hirnblutung kam uns dazwischen. Was folgte, war ein künstliches Koma und irgendwann wurden die Geräte abgeschaltet, weil die Schäden in Deinem Kopf zu groß geworden waren.

Nichts ist für immer,
doch warum dauert das so lang,
bis man anfängt zu vergessen
und alle Tränen trocken kann.
Du fehlst hier.
*

Dieses Jahr werde ich zum zehnten Mal vier Tränen um Dich weinen. 

Aber ich tue es mit einem guten Gefühl im Herzen. Denn Du hast mein Gefühl für Trauer verändert. Mit einem einzigen Satz: „Ich will nicht, dass Du traurig bist, dass ich gehe. Ich will, dass Du Dich freust, dass ich mal ne Zeitlang da war.“ Dieser Satz hat so viel verändert. Ich konnte Dir diesen Wunsch sehr gut erfüllen. Denn ich freue mich immer noch so oft darüber, dass Du da warst. Und doch bin ich immer noch traurig, dass ich Dir keine Musik schicken kann. Ich bin immer noch traurig, dass ich Dir nicht erzählen kann, was ich Schönes erlebt habe oder eben auch, dass mich der Tag echt abgefuckt hat. Aber neben der Traurigkeit ist da eben auch die Musik, die Du mir geschickt hast. Die Erinnerung an die schönen Dinge, die Du erlebt hast, Deine Geschichten und eben auch das Gefühl von Gemeinsamkeit, wenn wir uns beide der Angst oder schlechten Laune hingegeben haben. So ist es eine gute Mischung aus dem, was wir beide wollten und brauchen. Ich darf traurig sein und freue mich, denn Du warst mal da.

Und dafür bin ich so dankbar. Du warst die schönste Frau, der ich je begegnet bin. Innen und aussen. Deine Klugheit, Dein Witz, Dein Geschmack und Deine Gedanken werden mich immer begleiten. Auch der, dass nach Beerdigungen kein Streuselkuchen serviert werden sollte, weil das jeder so macht und Streuselkuchen auch echt nichts Besonderes ist. Auch nach meiner Beerdigung wird es keinen geben, das steht schon fest. Genauso wie die Playlist.

Du hast einen kurzen, aber sehr intensiven Fußabdruck in meinem Leben hinterlassen. Das passiert nicht oft, aber wenn es passiert, dann lohnt es sich, diesen Platz im Herzen zu pflegen. Und das werde ich immer tun. 

Weil Du mal ne Zeitlang da warst. 

Nichts ist für immer, ja, das weiß ich doch auch.
Du fehlst hier.*

*Enno Bunger „Leeres Boot“

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