Sturm

„And after the storm cleared, she met the next version of herself.“
(Unbekannt)

Man sollte meinen, dass ich mich so langsam mit Stürmen auskenne. Denn da sind rückblickend betrachtet weniger windstille als mehr stürmische Zeiten in meinem Leben. Ich kann sie aufziehen sehen, oft schon lange bevor sie ihre Kraft entwickeln.  Und trotzdem bin ich meist machtlos. Manchmal kann ich mich ihnen entgegenstellen, verpasse dann aber den Moment, in dem ich mir einen Unterschlupf suchen sollte. Keine Ahnung, ob mein Timing da jemals besser werden wird. 

Trotzdem habe ich gelernt, dass ich danach mit etwas Neuem aus dem Sturm hervortrete. Weil mir im Gegenwind immer etwas entgegen fliegt, was ich vorher noch nicht kannte. Und doch muss ich mich erstmal umpusten lassen.

Die letzten Monate waren kräftezehrend. Mal wieder. Alles ist einfach zu viel. Mal wieder. Ängste, zerschlagene Hoffnungen, Einsamkeit, schmerzhafte Erinnerungen in Dauerschleife – all das fliegt mir um die Ohren. Immer wenn ich es geschafft habe, mir ein einigermaßen sicheres Häuschen zu bauen, kommt der Sturm und wirft es um. Ich arbeite hart an mir. Vielleicht sogar zu hart, es ist ein richtiger Kampf. Aber wenn ich etwas kann, dann ist es kämpfen. Weil ich immer kämpfen musste. Ich kann gar nicht anders. Aber meine Arme und Beine werden immer müder, mein Kopf und mein Herz tun weh. Trotzdem mache ich weiter, obwohl es schon merklich kälter und zugiger wird. Ich habe Mühe, den Sturm zu kontrollieren. Wie auch? Hat schon mal einer einen Sturm kontrolliert? Immer wieder wird alles aufgewirbelt, was mir die ultimative Unsicherheit beschert und ich stehe mittendrin und weine. 

Vor Kurzem habe ich meine engsten Freunde gefragt, wie sie mich sehen. Die Worte „stark“ und „mutig“ waren oft vertreten. Das fühlt sich seltsam an, denn ich impliziere damit immer eine Wahl. Und die hatte ich nie. Die Dinge, die passiert sind, habe ich nicht herausgefordert und ich trage keine Schuld daran. Ich konnte nie wählen, ob ich mich wehre oder nicht. Pathetisch gesagt: Ich musste es tun, um zu überleben. Ich fühle mich nicht mutig, weil ich mich mit meinen Dämonen auseinandersetze. Ich kann nicht anders, weil sie mich sonst verschlingen. Und ich bin nicht sicher, ob sie dann noch etwas von mir ausspucken würden, was weitermachen kann. 

Nach vielen anstrengenden Wochen stehe ich mal wieder mitten im Sturm und weiß nicht, wie ich da hin komme, wo die Ruhe ist. Da sind sie wieder: all meine Dämonen. Wie ein Wirbelsturm kreisen sie um mich. Sie brüllen so laut, dass Ohren zuhalten nichts bringt.

Ich versuche aus dem Sturm herauszukommen und Ruhe zu finden. Und die finde ich dann auch. Aber nicht die von der guten Sorte. Sondern die von der isolierenden, depressiven Sorte. 

Ich wünsche mir, dass jemand sieht, in welcher Dunkelheit ich gerade bin, kann es aber nicht zeigen. 
Ich wünsche mir, dass mich jemand da raus holt, schaffe es aber nicht, darum zu bitten. 
Ich wünsche mir, dass es jemand versteht, mag es aber nicht erklären. 
Ich wünsche mir, dass jemand meine Tränen trocknet, aber ich kann sie nicht abstellen. 
Ich möchte allen sagen, dass ich gerade nicht mehr kann, aber ich weiß nicht wie.
Ich möchte sagen, dass ich nicht mutig und stark bin, sondern ganz klein und verletzt. 

Der Sturm zeigt mir auf, was ich alles nicht kann. Er nimmt mir das Licht und lässt mich in der Dunkelheit allein, während mir alles um die Ohren fliegt. Niemand kann zu mir vordringen, weil der Sturm um mich herum alles zerstört. Ich bin allein und muss schauen, wie ich in Sicherheit komme. So sehr ich mir jemanden wünsche, der mir dann die Hand reicht, so sehr weiß ich auch, dass das am Ende nur ich selbst sein kann. 

Aber ein Sturm endet auch immer wieder. Es gibt keinen Dauersturm. Alles beruhigt sich immer wieder. 

Dann beginnen die Aufräumarbeiten. Was kaputt ist, muss repariert werden. Und manchmal liegen da sogar Teile herum, die ich vorher nicht kannte, aber trotzdem gebrauchen kann. Weil sie mir dabei helfen, mein eigenes Puzzle zu ergänzen und mich selbst wieder ein Stückchen mehr zusammensetzen. Und vielleicht finde ich damit beim nächsten Sturm auch schneller einen Unterschlupf.

Ich weiß, dass es nicht immer stürmisch sein wird. Ich habe gelernt, dass es windstillere Tage gibt, an denen ich wieder mehr Kraft habe, all das zu sagen, was ich sonst nicht sagen kann. Und diese Erkenntnis ist auch ein Teil, das mir im Sturm mal um die Ohren geflogen ist. 

Because maybe
you’re gonna be the one that saves me.

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