Zersplittert

Wie die Splitter eines Spiegels halt ich mich grad’ noch zusammen.
Nur nicht zerfallen irgendwann.“ *

Was wünschen, wenn man drei Wünsche frei hätte? 

Gesundheit?
Glück? 
Liebe? 

Was wünschen, wenn man an einer depressiven Störung leidet und drei Wünsche frei hätte? 

Keine Ahnung. Ganz ehrlich.

Wenn kein Tag gleich ist und jeder Tag ein Kampf gegen den eigenen inneren Zerfall ist, dann werden die Wünsche entweder ganz viele oder es reduziert sich nur noch auf einen Wunsch: 

Nur nicht mehr SO weiterleben. 

Keine Sorge, das wird kein Abschiedsbrief, es gibt keine suizidalen Absichten. 

Es hat gar nichts damit zu tun, dass der Tod vielleicht eine gute Alternative zu diesem Leben wäre. 

Vielleicht ist er das, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist das Leben besser und hält noch mehr bereit. Vielleicht gilt das aber genauso für den Tod. 

„Am Ende braucht man mehr Mut um zu leben, als um sich umzubringen.“ schreibt Albert Camus in „Der glückliche Tod“. 

Jeder, der einmal eine depressive Episode hinter sich gebracht hat, wird das sofort unterschreiben. 

Jeder einzelne Tag, jede Stunde, ja sogar jede Minute kostet unfassbar viel Kraft. Weil nichts mehr verlässlich ist. Die Verlässlichkeit ist aber ein wichtiges Fundament für einen stabilen Gang. 

Sicherlich, Verlässlichkeit ist im Leben immer schwierig, weil sie meist von vielen äußeren Faktoren abhängt, die nicht beeinflussbar sind. 

Und dennoch hat es in einer depressiven Episode eine andere Gewichtung. Denn die Ausschläge sind stärker. Von der einen auf die andere Minute kann die Traurigkeit aus dem Nichts zuschlagen. Das ganze Leben ist ein ein Spaziergang am Abgrund. An guten Tagen siehst du ab und an mal runter, an schlechten Tagen weht dich der Wind von der Klippe. Woher der Wind so plötzlich kommt, ist oft nicht auszumachen. Du kannst mitten auf einer Party stehen, auf der du vorher getanzt und gelacht hast und auf einmal zieht sich dein Inneres zusammen. Manchmal sagt dir aber auch jemand etwas und du weißt, dass es dich verunsichert und ins Wanken bringen wird, obwohl du bis gerade ohne Schwanken stehen konntest.

Eigentlich ist es auch egal, ob du weißt, woher es kommt oder nicht. Es ändert nichts. Von jetzt auf gleich bist du im Kriegszustand mit dir selbst. Du kämpfst gegen deine Traurigkeit, deine Gefühle, deine Gedanken und deine Tränen, die niemand sehen soll. Nicht, weil es dir peinlich ist, wenn jemand dich weinen sieht. Du weißt einfach, dass du dann nicht mehr aufhören kannst. Du weißt, dass du dann keine Kraft mehr haben wirst, um nicht komplett zusammenzusacken. Niemand soll dich jemals so sehen.

Vielleicht ist Verlässlichkeit hier auch das falsche Wort. Denn eigentlich kann sich niemand darauf verlassen, dass es ihm morgen gut geht. Aber Verlässlichkeit hat mit Sicherheit zu tun und wenn es etwas in einer depressiven Episode nicht mehr gibt, dann ist das die Sicherheit. 

Keine Sicherheit, dass der heutige gute Tag morgen fortgesetzt werden kann.

Keine Sicherheit, dass die eigene innere Unsicherheit dir in der nächsten Minute nicht wieder verrückte Gedanken in den Kopf pflanzt.

Keine Sicherheit bedeutet Angst. 

Leider ist es nicht die Art von Angst, die dich vor Gefahr schützt. Es ist die Art von Angst, die dich lähmt. Die dich verloren und unsicher macht. Die darauf lauert, dass dein Kopf und dein Herz dich durchdrehen lassen. Die dir jede Art von Normalität nimmt, die dich ständig auf der Suche nach Schutz sein lässt und ihn dir auch sofort wieder nimmt. 

„Zersplittert und zerrissen

zerstückelt und zerteilt

Beim Abspann durch, wenn man sich beeilt“ *

* (Das Gegenteil der Angst – Kettcar)

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