Zu viel

Auf Anspannung folgt nicht immer Erleichterung. Gerade bei einer Depression sind die Chancen hoch, dass die Anspannung der Traurigkeit weicht. Negative Gefühle können in Rekordzeit in noch schlimmere Gefühle kippen. Alles fällt in sich zusammen und am Ende bleiben die Hoffnungslosigkeit, Angst und Tränen übrig. 

Angst, dass es nicht besser wird, sondern schlimmer, weil du ja weißt, dass es nicht wieder weggehen wird.
Angst, dass die Unsicherheit deswegen niemals endet und ein fester Gang immer weiter in die Ferne rückt. 

Unsicherheit lässt dich straucheln, dich von Situation zu Situation wanken. Der dringende Wunsch nach Halt und Beständigkeit wird so übermächtig, dass er keine Chance hat, sich zu erfüllen. Er schafft sich quasi selbst ab. Denn du wirst die Unsicherheit in allem finden, egal wie sehr du an Dinge oder Situationen gewöhnt bist. Neues hingegen kann dich schier in Panik versetzen, denn die Überzeugung, dass es nicht gut ausgehen wird; nicht gut ausgehen kann, wird fester Bestandteil deines Lebens.

Das alles macht müde. Sehr müde. Der Alltag macht müde, Menschen um dich herum machen dich müde, das Leben macht dich müde. 

Du weißt nicht, wohin mit dir. 

Du willst nur nicht mehr fühlen, nicht mehr nachdenken, erst recht nicht mehr grübeln. Nicht mehr unsicher sein, nicht mehr straucheln. Nicht mehr müde sein. 

Müde vom Leben und all den Erwartungen daran. Müde von allen Gefühlen, die in dir wohnen. Und da wohnen eine Menge. Zu viele. Die Butze ist randvoll damit. Da ist kein Platz mehr für neue Gefühle. Kein Platz mehr für gute Gefühle. 

Wo es zu voll ist, wird alles zu viel. Zu viele Geräusche, zu viele Interessen, zu viele Gefühle, zu viel, zu viel, zu viel.

Du bist so randvoll mit negativen Gefühlen, keines davon würdest du vermissen, wenn es nicht mehr da wäre. Man kann sie sich verbieten, dagegen ankämpfen und trotzdem wird man immer auf der Verliererseite stehen. Trotzdem schaffen es die negativen Gefühle, dich weitgehend gefühlsfrei in Bezug auf Freude und Normalität durch den Alltag zu navigieren. Gefühllosigkeit in Bezug auf positive Gefühle ist ja auch irgendwie wieder ein Gefühl. 

Das schleppst du alles jeden Tag mit dir herum. Es wiegt tonnenschwer und liegt auf deiner Brust, nimmt dir damit die Luft zum atmen. Wenn die Beine dich unter dieser Last weitertragen sollen, dann musst du dich auf das Atmen konzentrieren. Denn du bist nicht sicher, was passiert, wenn du dich nicht darauf konzentriert.

Du möchtest unsichtbar sein. Niemand soll etwas von dir wollen, niemand soll dich etwas fragen, dir etwas sagen, dir zeigen, dass er da ist. Du möchtest niemanden erklären, was mit dir ist, weil es keiner versteht. Alles ist zu viel, alles wird zur Last. Du möchtest laut schreien, dass man dich zurücklassen soll, dich verdammt noch mal endlich in Ruhe lassen soll, dass du es nicht verdienst, dass man sich kümmert, weil du nicht willst, dass man sich kümmert. Du bist dir selbst schon Last genug.

Du willst nur deine Ruhe. Was Blödsinn ist, denn niemals ist die Ruhe alles, was du willst. Du willst nicht mehr warten, dass es besser wird, du willst vergessen, du willst Freude, Leben, vielleicht ein bisschen Glück, in jeden Fall aber Beständigkeit und Zufriedenheit. Du willst nicht mehr sein; nicht mehr SO sein. Du willst schlafen, ein Platz unter der warmen Decke, unter der dich niemand sieht und du niemanden sehen musst. 

Denn alles ist zu viel, das Leben ist zu viel, die Erinnerungen sind zu viel, das Vermissen ist zu viel, die Traurigkeit ist zu viel. All das ist in dir, all das bist du. 

Du bist zu viel. Und doch viel zu wenig.

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