Erst denken, dann reden

Spoiler: hilft immer!

In Bezug auf die aktuelle Pandemie-Situation kommt mir immer wieder der Satz unter, dass uns die Isolation und der daueranhaltende Was auch immer-Lockdown depressiv machen kann. Da stellen sich bei mir die Nackenhaare auf. Alles in mir sträubt sich gegen die Verwendung dieses Wortes, wenn im Kontext nicht explizit auf eine psychische Erkrankung eingegangen wird. 

Die Isolation und die ständige Ungewissheit, wann wieder ein normales Leben möglich sein wird, treibt uns alle aus unterschiedlichen Gründen in für uns unschöne Situationen und Gefühlslagen. Natürlich kann ich mir vorstellen, dass sich hier – je nach Verfassung und Lage – eine Depression entwickeln kann. Aber in der Umschreibung der Situation passt dieser Ausdruck dennoch für mich nicht, denn er beschreibt einen krankhaften Zustand, der durchaus sehr ernst zu nehmen ist. 

Was in den meisten Fällen eigentlich damit gemeint ist, ist, dass dieser Zustand deprimierend sein kann. Zwischen den beiden Wörtern „depressiv“ und „deprimierend“ liegen allerdings Welten. Während „deprimiert“ eine Gemütslage beschreibt, handelt es sich bei „depressiv“ um eine ernstzunehmendes Symptom einer schweren Erkrankung. 

Leider ist das Wort „depressiv“ im Laufe der Jahre immer mehr zu einer flapsigen Umschreibung für „mal nicht gut drauf sein“ geworden und wird deshalb leider auch viel zu inflationär im Alltag benutzt. Denn das führt dazu, dass die Depression nicht als eine ernsthafte und das Leben wirklich beeinträchtigende und bedrohende Krankheit wahrgenommen wird und damit auf eine gewisse Art und Weise bagatellisiert wird. Das schafft leider kein Bewusstsein für das Thema Depressionen, was allerdings in der heutigen Welt mit den aktuellen Ansprüchen und dem immer schneller werdenden Tempo dringend nötig ist. 

Im Rahmen meiner Krebserkrankung habe ich einige Frauen mit gleichem Schicksal kennengelernt. In Gesprächen haben wir einen eigenen Humor entwickelt, der uns dabei geholfen hat, mit der Angst vor dem Krebs und vor dem Tod umzugehen. Dieser Humor ist teilweise wirklich rabenschwarz. Habe ich einen dieser Witze bei Personen wiederholt, die nicht vom Krebs betroffen sind, konnte ich sehr häufig sehen, wie mein Gegenüber zusammenzuckt. Weil ich damit eine Grenze überschritten hatte. 

Über ein solch beängstigendes Thema wie Krebs macht im Alltag man keine Witze. 

Da leiden und sterben Menschen dran. 

Krebs ist eine ernstzunehmende Krankheit, die in jedem bewußt oder unbewußt Ängste auslöst. Nichts an der Kommunikation zum Thema Krebs ist bagatellisierend. Wo aber liegt dann der Unterschied zur Depression als erstzunehmender Krankheit? 

Ich habe beides durch und muss sagen, dass die Depression der viel beängstigendere Gegner für mich ist. Weil sie kein Gesicht hat. Sie wird nicht im MRT oder CT angezeigt. Sie ist kein Zusammenschluss von bösartig entarteten Zellen, die sich zu einem sichtbaren Tumor formen. Man kann sie nicht herausschneiden. Die Medikamente gegen eine Depression hinterlassen keine extrem sichtbaren Spuren, so wie der Haarausfall bei einer Chemotherapie. Man muss es kennen und genau hinsehen, um zu erkennen, ob jemand an einer Depression leidet. Denn wenn du unter Leute gehen kannst, dann schaffst du es auch, ein Lächeln zu vorzutäuschen, auch wenn innerlich alles schmerzt und schreit. 

Ich würde mir wünschen, dass mit dem mittlerweile doch ein wenig wachsendem Bewusstsein für psychische Krankheiten auch ein Sensibilisieren in der eigenen Sprache einsetzt. Es gibt keinen Grund, irgendeine Krankheit zu bagatellisieren, denn sie erfordert immer eine Leidenszeit, egal wie ausgeprägt oder bedrohend sie sein mag. Wir sollten anfangen, dies in unserer Sprache zu berücksichtigen und Dinge trotzdem ernst zu nehmen, auch wenn wir sie vielleicht selbst nicht erfassen können. 

Dazu erfordert es jedoch ein gewisses Maß an Empathie. Denn man weiß nie, mit was die Person zu kämpfen hat, die einem gerade gegenübersteht. Auch wenn sie lächelt. Es wäre schön, wenn wir nicht nur mit der eigenen Sprache, sondern generell miteinander achtsamer umgehen würden. Wir sollten uns so oft wie möglich kritisch hinterfragen, ob wir gerade wirklich die andere Person mit ihren Nöten und Wünschen oder ob wir nur die eigenen Gedanken über sie sehen. Wir sollten zuhören, was andere zu sagen haben. Und wir sollten uns Gedanken darüber machen, welche Macht Worte haben und wie wir damit umgehen möchten. 

Hört auf, „depressiv“ zu sagen, wenn ihr „deprimiert“ meint.

Hört den Menschen zu, die euch den Unterschied erklären, denn sie wissen genau, wovon sie sprechen. Lernt daraus, habt Verständnis und bleibt offen dafür, dass das andere Leben höchstwahrscheinlich nicht so sind, wie ihr sie euch vorstellt. Bringt anderen die Achtsamkeit entgegen, die ihr euch für euch selbst auch wünschen würdet.

Denn so können wir es schaffen, die Welt zu einer besseren zu machen, in der sich jeder wohl- und erstgenommen fühlt.

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