Zehn Jahre.

Und drei Monate.

Sicherheitsgefühle basieren auf Hoffnung und die Hoffnung verhält sich oft proportional zur eigenen Gefühlslage. Tendieren die Gefühle Richtung Dunkelheit, schwindet die Hoffnung und damit auch das Gefühl der eigenen Sicherheit. Es gibt nicht wenig Menschen, die sagen, dass es keine Sicherheit gibt und ich stimme dem bedingt zu. Es gibt keine äußere Sicherheit, weil diese von Faktoren abhängt, die man selbst nicht kontrollieren kann.

Es gibt aber sehr wohl eine Art von innerer Sicherheit, die man sich selbst schaffen kann. Der Weg dahin ist nicht leicht, aber wenn man ihn einmal angegangen ist und sich seinen eigenen Ängsten gestellt hat, dann findet man dort alles, was man braucht, um in sich ein hübsches Haus an einem See zu bauen, umgeben von Natur, sich sanft wiegenden Bäumen, wunderschönen Blumen und mit einem Blick auf mächtige Berge, um dort die Ruhe zu finden, die einem der Alltag sehr schnell nehmen kann. Dieses Haus ist in mir, es ist meine Zuflucht. Dort finde ich meine Kraft, fühle mich beschützt und kann mich so mit meinen Ängsten auseinandersetzen, ohne dass sie so groß werden, so dass ich befürchten muss, dass sie mich verschlucken könnten.

Nach zehn Jahren und drei Monaten ist er wieder zurück. Der Krebs. Das große K-Wort, das so viel Angst, Schmerzen und so wenig Sicherheit mit sich trägt. Pläne, Wünsche und das normale Leben sind mit den drei Worten „es ist Krebs“ dahin, zerschlagen innerhalb von Sekunden. 

Er hat sich eine andere Stelle ausgesucht, hat dort angefangen zu wüten und mir schon einiges an Rückschlägen präsentiert, aber ich werde ihm dennoch in die Augen sehen und seinem Blick standhalten. 

Das verlorene Sicherheitsgefühl bei meiner ersten Krebserkrankung hat mich auf diesen Moment vorbereitet, weil es einen Teil in mir gibt, der damit immer gerechnet hat, dass er wiederkommen wird. 

Aber es gibt einen entscheidenen Unterschied zu der ersten Krebserkrankung: er macht mir keine Angst mehr. Ich kann ihm ins Gesicht sehen, weil ich weiß, dass ich nicht machtlos bin. Nicht in der Wahl meiner Waffen gegen ihn, noch in der letzten Konsequenz. Ich habe mich intensiv seit so vielen Jahren mit dem Tod auseinandergesetzt, er ist kein Endgegner für mich. Er ist etwas, was in meinem Leben wohl bedacht und einkalkuliert ist. Ich bin vorbereitet, alles ist geregelt. 

Aber es ist noch nicht so weit. Auch dieser Krebs wird nicht der Krebs sein, der mich das Leben kostet. Vielleicht werden wir ein Leben lang miteinander kämpfen, aber wer am Ende gewinnt, ist nicht wichtig. Auch nicht, wie lange dieses Leben dauern wird. Denn die Momente zwischen den Kämpfen zählen. Und das sind meine Momente, die so viel mehr wiegen und bedeuten, als der endgültige Sieg über meinen Körper. Denn ich habe sie im Herzen und dort kann sie mir niemand nehmen, nicht mal der Krebs. 

Diese Momente sind untrennbar mit den Menschen um mich herum verbunden, die mir mit so viel Liebe begegnen. Ich kann spüren, wie ich in ihren Gedanken und Hoffnungen bin. Sie lachen und weinen mit mir. Sie halten meine Hand, wenn mir der Mut mal ausgeht. Sie schicken mir Musik, die mich tief berührt und glücklich macht, helfen mir, meine Wunden zu verbinden und vollbringen mit all dem einen Akt der Menschlichkeit, der mir zeigt, dass die Welt zumindest in meinem kleinen Teil davon gut und voller Sonne ist. Ich kann gar nicht beschreiben, wie viel mir das bedeutet. Und wie viel Kraft mir das gibt. Es gibt nicht wenig Momente, in denen ich mich glücklich fühle. Glücklich, trotz Tumor und metastasierten Lymphknoten. 

Die ersten Schritte sind getan, einige noch schwere Schritte liegen in den nächsten Monaten vor mir. Mal wieder eine Chemotherapie, von der ich so gehofft habe, dass ich das nie mehr in meinem Leben ertragen muss. Aber ich weiß, dass sie mich nicht den selben Kraftakt kosten wird, den ich schon einmal vollbracht habe. Ich bin hart im Nehmen, aber auch froh, dass sich einige Dinge nicht wiederholen werden. Es gibt also noch gute Nachrichten aus der Krebswelt. 

Und nebenbei habe ich einen überraschenden Fund gemacht: es gibt doch noch eine Art von Sicherheit. Diese Sicherheit liegt in der Normalität. Ich werde mein Leben weiterleben, wenn auch mit Einschränkungen, aber ich werde sie mir nicht nehmen lassen. Denn das ist wichtig für mich, um diesen Weg gehen zu können. Das große K hat mir meine Zukunft von jetzt auf gleich zerschossen, aber wie meine Gegenwart ist, entscheide ich. Mein Körper mag mir hier die Richtung vorgeben, aber ich bin sehr geübt mit der Achtsamkeit im Moment. Ich werde keine großen Schritte machen können, aber das will ich auch gar nicht. Kleine Schritte sind die, die mich voranbringen. Den Moment zu leben, wenn er gut ist. Nicht an den nächsten denken, der vielleicht Schmerzen mit sich bringt. 

So stellt sich die Normalität von ganz allein ein. 

„Wenn du durch eine harte Zeit gehst und alles gegen dich zu sein scheint, wenn du das Gefühl hast, es nicht mehr eine Minute länger zu ertragen, gibt nie auf, weil dies die Zeit ist, wo sich die Richtung ändert.“

(Rumi)

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